In der stratum lounge treffen Menschen auf Themen, Worte auf Emotionen, Autor(inn)en auf Leser(innen). Hier bildet sich der aktuelle Nachhaltigkeits-Diskurs ab und Transformationswissen wird lebendig. Diskutieren Sie mit, um die Welt zu verstehen. Bilden Sie sich eine Meinung oder lassen Sie sich verunsichern. Helfen Sie mit, die Dinge auf den Punkt zu bringen.
Im Podcast bringen wir die Themen noch einmal auf den Punkt.
Dass Wirtschaft dem Menschen dienen sollte und nicht umgekehrt, dürfte auf breite Zustimmung stoßen. Doch die Frage, wie sich Unternehmen auf demokratische Weise so organisieren lassen, dass sie sowohl wirtschaftlich erfolgreich sind als auch emanzipatorischen Zielen von Gleichberechtigung und Herrschaftsfreiheit dienen und am besten auch einer nachhaltigen, klimaneutralen Ökonomie zum Durchbruch verhelfen, ist weniger einfach zu beantworten.
Der Rechtsanwalt Rupay Dahm berät Kollektivbetriebe und Genossenschaften und gründete 2020 gemeinsam mit anderen die Reinigungskooperative Berlin als selbstverwaltete Kooperative. In seinem 550 Seiten umfassenden Buch „Selbstbestimmt arbeiten, Betriebe demokratisieren“ beschäftigt er sich mit dem Für und Wider bestehender Konzepte und diskutiert praktische Lösungen, die das Potenzial haben, nicht nur in Kleinbetrieben zu funktionieren. Dahm ist überzeugt: „Trotz ihrer begrenzten Auswirkungen stellt jede demokratisch organisierte Produktionsgenossenschaft das bestehende Wirtschaftssystem in Frage.“ Dahms Expertise beruht u.a. auch auf zahlreichen Interviews, die er seit 2011 in selbstverwalteten Betrieben in ganz Deutschland geführt hat.
Schon die Analyse der in den 1970er- und 1980er Jahren entstandenen Kollektivbetriebe zeigt nach Ansicht des Autors, vor welchen Problemen die betriebliche Demokratisierung steht. Die Schwachstellen entstünden durch „informelle Hierarchien, diskriminierende Kommunikationskulturen, subtile Machtmechanismen im Betrieb“. Er folgert daraus: „Sozialistische Ansätze laufen Gefahr, autoritär zu werden.“
Es sei auch „ein Missverständnis zu glauben, dass alle Mitglieder eines selbstverwalteten Betriebs die gleichen Interessen hätten und daher keine Interessenkonflikte bestünden“; tatsächlich bestehe „immer ein fundamentaler Interessenkonflikt zwischen der
Gemeinschaft und den Individuen“. Dieser Konflikt könne durch den bestehenden wirtschaftlichen Druck von außen noch erhöht werden, wie das Beispiel des Berliner Druckereikollektivs „Oktoberdruck“ zeigt:
Selbstbestimmung wird dann zu Fremdbestimmung. Die Wirkweise dieser Abhängigkeit wird verbildlicht in den Worten eines Druckers vom früheren Druckereikollektiv Oktoberdruck. Er kritisiert, „dass aufgrund der Anschaffung von großen Maschinen der Verwertungsdruck (Raten abbezahlen), d.h. die Notwendigkeit, die Maschinen maximal auszulasten (Schichtbetrieb), alle anderen Probleme in den Hintergrund drängte“. Obwohl der Betrieb der Belegschaft gehörte, war diese nicht mehr frei, ihre Arbeitszeiten selbst zu bestimmen, weil die Schulden "bedient" werden mussten.
Sehr systematisch und praxisnah untersucht Rupay Dahm die Möglichkeiten und Hindernisse, die mit dem Versuch einer Demokratisierung von Wirtschaftsbetrieben verbunden sind. Er greift dabei auch die neuen Chancen auf, die z.B. aus der Digitalwirtschaft kommen, in der agiles Arbeiten neue Rollen und Machtverteilungen hervorbringt – Scrum Master und Product Owner. Der eine muss dafür sorgen, dass es dem Team gut geht und es optimale Arbeitsbedingungen hat, der andere vertritt die Perspektive und Interessen des Kunden und ist Schnittstelle zwischen Auftraggeber und Lieferant. Dahm erkennt darin die Chance, eines der Probleme von Kollektivbetrieben in den Griff zu bekommen: „Aus linker Perspektive wird bisweilen kritisiert, dass in Kollektivbetrieben alle Mitglieder zu Unternehmer*innen werden und dies zu einer neoliberalen (Selbst-)Ausbeutung führt. Eine Rollenaufteilung wie im Scrum könnte diesen Effekt reduzieren und entlastend wirken“. Das funktioniert allerdings nur dann, wenn im Unternehmen die Rollen von Scrum Master und Product Owner nicht einfach durch klassische Vorgesetzte besetzt werden.
Auch die ebenfalls der agilen Arbeitsorganisation zuzurechnenden Organisationsformen der Soziokratie und Holokratie können unter bestimmten Bedingungen einen wesentlichen Beitrag zu Demokratisierung leisten, nämlich dann, wenn die Kreise, auf denen die Entscheidungsstrukturen basieren, nicht in einem hierarchischen Verhältnis stehen. „Dieses Konzept ähnelt dann stark dem anarchistischen Prinzip der Föderation“, stellt der Autor fest.
Rupay Dahm macht deutlich, dass es von vielen Faktoren abhängt, ob Selbstorganisation und Demokratie in einem Unternehmen funktionieren oder nicht - harten Faktoren wie der rechtlichen und finanziellen Konstruktion, aber auch weichen wie der Kommunikationskultur und Arbeitsorganisation. Damit der „nächste Versuch des Sozialismus“ nicht scheitert, müssten wir noch mehr praktische Erfahrungen mit alternativer Arbeitsorganisation machen und entsprechende Lern- und Experimentierfelder eröffnen, betont Rupay Dahm: „Es müssen neue Praktiken nicht nur von oben eingeführt, sondern von jeder einzelnen Person erlernt werden. Hierzu bedarf es Räume (also Betriebe), in denen bereits erprobte Praktiken erfahren und neue entwickelt werden können. Das ist Aufgabe selbstorganisierter Unternehmen.“ Der nächste Versuch des Sozialismus dürfe nicht daran scheitern, dass er „wie in China einfach die Arbeitsorganisation des westlichen Kapitalismus übernimmt“.
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