In der stratum lounge treffen Menschen auf Themen, Worte auf Emotionen, Autor(inn)en auf Leser(innen). Hier bildet sich der aktuelle Nachhaltigkeits-Diskurs ab und Transformationswissen wird lebendig. Diskutieren Sie mit, um die Welt zu verstehen. Bilden Sie sich eine Meinung oder lassen Sie sich verunsichern. Helfen Sie mit, die Dinge auf den Punkt zu bringen.
Im Podcast bringen wir die Themen noch einmal auf den Punkt.
Bei der Mobilitätswende geht es nicht nur um eine Lösung für das Energieproblem. Sondern auch um die Frage, wie wir den städtischen Lebensraum sozial verträglich gestalten. In dieser Diskussion wurde bisher ein Aspekt total vernachlässigt.
Während wir in der verkehrspolitischen Stadtentwicklung Alternativen diskutieren, die die Vermeidung unnötiger Mobilität, das Verkehrsmittelangebot, die Nutzungsformen und die Antriebstechnologie betreffen, wird der fünfte Aspekt völlig ausgeblendet: die Frage, wie viel Raum die genutzten und bereitgestellten Verkehrsmittel eigentlich beanspruchen. Drei Verkehrsplaner der Universität Kassel haben jetzt zusammen mit dem kreativen Mobilitäts-Vordenker Konrad Otto-Zimmermann das erste Standardwerk zu diesem Thema erarbeitet, das sie unter dem Begriff „Feinmobilität“ publizieren.
Sie nennen es das „Gegenkonzept zum Verkehr mit immer größer und schwerer werdenden Kraftfahrzeugen“ und beschäftigen sich systematisch und umfassend mit allen Mobilitätsoptionen im Zwischenraum zwischen Fuß und Auto.
Obwohl der durchschnittliche Besetzungsgrad pro Pkw in den letzten 60 Jahren mit 1,5 Personen pro Fahrzeug konstant geblieben ist, sind „allein die Grundflächen der in Europa verkauften neuen Pkw-Fahrzeugmodelle zwischen den 1960er- und den 2010er-Jahren um etwa 18 % angestiegen“. Da die Fahrzeuge auch immer höher geworden sind, schränken sie obendrein die optische Raumwahrnehmung ein und verringern damit die Sicherheit des nicht motorisierten Verkehrs.
Die Alternativen, die die Autoren diskutieren, basieren auf einer neuen Klassifikation von Fortbewegungsmitteln, die sie die G-Klasse nennen. Die Einstufung nach Fahrzeuggröße ergibt sieben neue Klassen zwischen XXS und XXL. Die drei niedrigsten Klassen zählen die Autoren zur „Feinmobilität“. Neben den technischen und konstruktiven Merkmalen von Kleinfahrzeugen behandeln sie auch die verschiedenen potenziellen Nutzergruppen anhand von typischen Personas und beschäftigen sich mit der Frage, warum „der überwiegende Marktanteil hierzulande gehandelter Mikromobile aus Asien, vornehmlich China“ stammt.
Von der Industrie hierzulande erhoffen sich die Autoren keine Unterstützung der Feinmobilität. „Die deutsche Automobilindustrie leitet keine Trendwende zu feinerer Mobilität ein, sondern ist dabei, den Trend zu XL- und XXL-Fahrzeugen zu festigen“, stellen sie fest. Umso mehr müsse die Verkehrspolitik und die kommunale Stadtentwicklung aktiv werden, um die fünfte Dimension der Mobilitätswende zu nutzen. Dazu bedarf es eines Umdenkens in der Verkehrsplanung: „Die bisherige Aufteilung des Straßenraums nach den üblichen Verkehrsmodi Fuß, Rad, ÖV und MIV bedarf der Erweiterung bzw. Modifizierung, denn sie wird der zunehmenden Bedeutung von Feinmobilen, aber auch der Heterogenität ihrer Größen und bauartbedingten Geschwindigkeiten nicht gerecht. Dies kann zu mehr Klarheit in der Benutzung einzelner Flächen sowie zu mehr Verkehrssicherheit für die feineren Bewegungsmittel führen.“
In ihrem Buch illustrieren die Autoren außerdem an praktischen Beispielen, wie der öffentliche Verkehrsraum umgestaltet und neu organisiert werden könnte, um Feinmobilität zu unterstützen. Das Potenzial eines weniger raumgreifenden Mobilitätskonzepts wäre jedenfalls enorm, denn: „Feinmobile taugen grundsätzlich auf Strecken bis 180 km zur Beförderung von mehreren Menschen und bis zu 400 kg Gütern, sind fernstraßentauglich und damit für Pendler-, Dienst- und Freizeitfahrten geeignet.“ Nachdem das (große) Auto als Statussymbol eigentlich ausgedient hat, könnte sich „Klein, aber fein“ in den Köpfen der Stadtmenschen allmählich festsetzen…
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