Brennpunkt Nachhaltigkeit

In der stratum lounge treffen Menschen auf Themen, Worte auf Emotionen, Autor(inn)en auf Leser(innen). Hier bildet sich der aktuelle Nachhaltigkeits-Diskurs ab und Transformationswissen wird lebendig. Diskutieren Sie mit, um die Welt zu verstehen. Bilden Sie sich eine Meinung oder lassen Sie sich verunsichern. Helfen Sie mit, die Dinge auf den Punkt zu bringen.

Im Podcast bringen wir die Themen noch einmal auf den Punkt.



Aus jedem Stadtteil wird ein Dorf – Wie eine lebensfördernde Ökonomie entsteht

Am 09.04.2025 um 19 Uhr in der stratum lounge

 

Johannes Liess hat sich einen Ruf als Dorfretter erworben. 2003 zog der weltläufige Architekt, der international als Büro- und Projektleiter für die österreichischen Stararchitekten von Coop Himmelb(l)au gearbeitet hat, mit seiner Familie ins mecklenburgische Lüchow, einem Nest, das außer einem Briefkasten, einer Bushaltestelle und fünf letzten Bewohnern im Rentenalter kaum mehr ein Lebenszeichen aussandte. Innerhalb von zehn Jahren gelang es ihm, das Dorf wiederzubeleben, heute wohnen über 60 Menschen in Lüchow, darunter fast die Hälfte Kinder. Bereits 2011 schrieb Liess darüber einen 300 Seiten dicken Roman unter dem Titel „Artgerecht leben: Von einem, der auszog, ein Dorf zu retten“. Jetzt hat er ein neues Buch geschrieben, keinen Roman, sondern ein Sachbuch, das sich streckenweise jedoch auch poetisch gibt. Es geht in dem Buch um Wege zu einer „lebensfördernden Ökonomie“, die der Autor sich als „Wirtschaften mit Herz & Verstand“ vorstellt.

 

Liess glaubt nicht an die Verheißungen eines grünen Massenkonsums nach dem Motto „Wenn wir jetzt ganz schnell ganz viele Teslas produzieren, ist die Welt schon fast gerettet. Alles CO2-frei!“ Er predigt aber auch nicht den Verzicht, sondern setzt darauf, dass ein materiell weniger ausufernder Lebensstil nicht nur der Ökologie, sondern auch uns direkt zugutekommt: „Wir müssen unsere Wirtschaft wieder auf die Grundbedürfnisse unseres Lebens ausrichten, und wir müssen wieder lernen, mit der Natur zu leben und nicht gegen sie, und zwar auf der Grundlage der Erkenntnis, dass wir Menschen Teil der Natur sind und dass alles, was uns guttut, auch der Natur zugutekommt.“ Lapidar stellt er illustrierend fest, dass weltweit inzwischen mehr Menschen an Zu-viel-Essen als an Zu-wenig-Essen stürben.

 

Obwohl es eine Reihe von Optionen gibt, mit denen jede/r Einzelne durch eigene Entscheidungen zu mehr lebensfördernden Verhältnissen beitragen kann („weniger Tiere essen“, „weniger neue Kleidung kaufen“, „Auto verkaufen“), liegt der wesentliche Hebel für eine positive Veränderung nach Auffassung des Autors bei der Politik und der Gestaltung lebensfördernder Rahmenbedingungen. Dazu gehörte dann z.B. eine konsequente Stadtplanung, die die „15-Minuten-Stadt“ anstrebt. Was bedeutet: „Alle täglichen Ziele sollen in maximal 15 Minuten zu Fuß, mit dem Rad oder dem ÖPNV, also ohne Auto, erreichbar sein. Hierzu bedarf es einer ausreichend engmaschigen Verteilung der täglichen Daseinsvorsorge. Insbesondere auch die strenge Trennung von Arbeit und Wohnen wäre aufgehoben. So wird jeder Stadtteil zu einem eigenen Dorf.“

 

Sozialpolitisch modelliert Johannes Liess eine wesentliche Verbreiterung der Vermögenssituation und verbindet dies mit einem wohnungspolitischen Vorschlag: „Den Hebel für die Erhöhung der Vermögensquote sehe ich vor allem im Wohneigentum. Würden alle ihre Wohnung selbst besitzen, wäre schon die Hälfte des Problems gelöst. Ist das utopisch? Und wie soll das gehen? Ganz einfach, alle Mieterinnen und Mieter bekommen ein Kaufrecht für ihre Wohnung, der Kaufpreis liegt beim Zehnfachen der Jahreskaltmiete. Abgesichert wird der Kauf über eine staatliche Bürgschaft. Statt dass jeder und jede einzeln kauft, wäre auch gemeinschaftliches Eigentum zum Beispiel in Genossenschaften sinnvoll.“

 

Erklärt Liess diesen Vorschlag selbst für gar nicht so utopisch, so gewinnt er mit anderen Vorschlägen dann doch wieder eine utopische Flughöhe. Dass in Deutschland ein Drittel aller Flächen unter Naturschutz steht, genügt ihm nicht. Er fragt stattdessen: „Wäre es nicht besser, das ganze Land unter Naturschutz zu stellen?“

 

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